Heinrich Zschokke: Hans Dampf in allen Gassen

  • ...
  • ...

Wenn ich Holz säge und die Kartons mit dem ofenfertigen Holz ins Haus trage, dann gerate ich wohl in Wallung und erhitze mich. Wenn dann Wasser verdampft, liegt es wohl nahe, mich Hans Dampf zu nennen. Weit hergeholt ist das nicht, denn ein Generalist bin ich schon, nur in allen Gassen unterwegs, das bin ich nicht. Immer wenn ich einer Frau zugeneigt war, hielt ich ihr auch die Treue. Nur die Frauen sahen das oft anders. Womöglich hatten sie die Geschichte des "Hans Dampf in allen Gassen" unbewußt verinnerlicht und die Vorliebe des Hans Dampf für allerlei holde Weiblichkeit auf mich übertragen. Wie auch immer - mir zu unterstellen, ich gehe fremd, verletzt mich, weil ich es nie getan habe. Und dann gehe ich weg, damit ich nicht fremdgehen kann.

Der Grund, den Heinrich Zschokke hier mit einem Text aus dem Jahre 1814 zu zitieren, sind seine Auslassungen über Europa, Regierungsgeschäfte und Menschen in Staaten, besonders in Freistaaten wie dem Freistaat Lalenburg. In Kapitel 1 heißt es in markanter Klarheit:

"Der junge Hans Dampf hatte sich auf den Schulen des Auslandes gebildet, um als Patrizier einst den ihm gebührenden Rang mit Würden einnehmen zu können. In Lalenburg selbst war zwar eine gute Schulanstalt, jedoch diese nur für die Bedürfnisse der geringeren Bürgerklasse und der ärmeren Patrizierfamilien berechnet. Denn die Lalenburgischen Großen hatten schon längst begriffen, was spät erst andere Staatsmänner zum Grundsatz ihrer Staatsklugheit machten: daß Aufklärung und Kenntnisse die tödlichsten Gifte sind, welche man einem Volke beibringen könne.

Europa hat den größten Teil seiner Übel nur der Selbstdenkerei zu verdanken. Kann diese schon in Monarchien so nachteilig sein, daß der Sekretär oft mehr als sein Minister versteht und der Kapitän oder Leutnant die strategischen und taktischen Sünden seines Oberfeldherrn richtig einsieht, womit folglich das Oberste zu unterst gekehrt wird: um wie gefährlicher muß die Wirkung in Freistaaten sein!

Die Herren von Lalenburg hatten daher frühzeitig schon die herrliche Einrichtung getroffen, daß jeder Volksklasse aus dem Quell der Weisheit nur eben so viel zugetröpfelt wurde, als zu Lebensnotdurft und Nahrung erforderlich war. In den paar untertänigen Dörfern der freien Republik überließ man aus angestammter landesväterlicher Milde den Bauern das Recht, eine Schule zu haben oder nicht und den Schulmeister zu besolden oder nicht.

Natürlich fanden die Landleute mit ihrem gesunden Menschenverstande die ewig richtige Wahrheit von selbst: daß ein Bauer zum Pfluge keiner Gelehrsamkeit bedürfe. Sie erwuchsen demnach in Gottesfurcht und frommer Einfalt so gut wie andere und wurden dabei dick und fett zu jedermanns Verwunderung. Überhaupt tat sich, und mit Recht, die Regierung von Lalenburg auf den blühenden Wohlstand ihres Volkes viel zugut. Sie betrachtete das Volk wie eine ihr anvertraute Herde, die gemästet werden sollte, je fetter der Mann, je ansehnlicher er war.

In der Stadt beobachtete man das gleiche Verhältnis. Und so kam, wie von selbst, zu Lalenburg wieder eine der preiswürdigsten Staatsordnungen in Flor, die nur in China, Indien, Egypten und den berühmtesten Ländern des Orients gekannt worden ist. Nämlich der Sohn des Bauers ward wieder Bauer und konnte in Ewigkeit nichts anderes werden; des Handwerkers Kind ward wieder Handwerker, des Predigers Sohn Prediger, des Kaufmanns Sohn Kaufmann, des Ratsherrn Sohn Ratsherr.

Wer anders dachte, hieß ein unruhiger Kopf, ein Demagog, oder was man nachmals Metaphysiker, Jakobiner und dergleichen hieß. Diesen Geistesfrieden sicherer zu behaupten und alle Neuerungen zu verbannen, hatte man die vortrefflichsten Zensuranstalten eingerichtet, welche den Lalenburgern erst spät nachher in anderen Ländern nachgeahmt wurden. Schriften und Bücher von sogenannten unruhigen Köpfen wurden mit gehöriger Vorsicht verboten; nur Gesang- und Gebetbücher aus Katechismen zu drucken erlaubt.

Die Lalenburger Zeitung enthielt nur ausländische Artikel; von Stadt und Republik Lalenburg durfte kein Wörtchen in der Welt ruchbar werden, damit nicht etwa ein wichtiges Staatsgeheimnis verraten werde. Nur bei Ratswahlen und wo etwas Löbliches ohne Gefahr von der Stadt gepriesen werden konnte, stieß die Lalenburgische Fama ins Horn, und billig ward das Rühmliche gepriesen, anderen Staaten zum Muster, oder künftigen Geschichtschreibern reichhaltigen Stoff zu geben. Dies erweckte dann unter den jungen Patriziern eine edle Nacheiferungssucht."